Sachsen: Eine Bühne für Verschwörungsideologen

Im sächsischen Kamenz kommen oft Verschwörungsideologen zu Veranstaltungen – auf Einladung des Oberbürgermeisters. Beobachter bemerken eine „bedrohliche Stimmung“ im Ort.

Der Wartesaal des Stadttheaters in Kamenz nahe Dresden ist brechend voll an diesem Abend. Kleine Grüppchen stehen zusammen und trinken Sekt. „So voll kriegen sie das hier sonst nie“, freut sich eine Besucherin. Ein Buchhändler hat einen Stand aufgebaut. „Das hier kann ich Ihnen nahelegen“, berät er einen interessierten Kunden und deutet auf ein Buch. Der Titel: Wie ich meine Uni verlor. Daneben: Propaganda Matrix und Cancel Culture. Alle vom selben Autor, Michael Meyen, Kommunikationswissenschaftler an der Universität München.

Meyen soll hier im Kamenz sprechen, im nahezu ausverkauften Theater der 17.000-Einwohner-Stadt. Sein Auftritt gehört zu einer Veranstaltungsreihe, die unter anderem Oberbürgermeister Roland Dantz ins Leben gerufen hat. Er ist es auch, der den Abend auf der Bühne feierlich eröffnet.

Sein Gast ist alles andere als unumstritten. Meyen ist einstiger Mitherausgeber und Kolumnist der Querdenken-Zeitung Demokratischer Widerstand, die die Impfkampagne als „Injektionsgenozid“ und SPD- und Grünenpolitiker als „Spritzenmörder“ bezeichnete. Derzeit läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn. 2023 rief Meyen sogar den Verfassungsschutz auf den Schirm.

Initiativen vor Ort sind besorgt

Es ist nicht das erste Mal, dass der parteilose Oberbürgermeister die Nähe zu Menschen aus der verschwörungsideologischen Szene sucht. 2022 trat er auf die Bühne einer Querdenken-Veranstaltung auf und lobte den „friedlichen Protest“, der von den rechtsextremen Freien Sachsen und der AfD Kamenz organisiert wurde. Von Ostsachsen.TV, einem Sender, der auch Reichsbürgern eine Plattform bietet, ließ Dantz sich in ein Talkformat einladen.

Vergangenes Jahr rief er schließlich die Veranstaltungsreihe Im Dialog im Stadttheater ins Leben. Auf Anfrage teilt Dantz mit, in einer „spannungsgeladenen Zeit“ solle die Reihe dabei helfen, „mit unterschiedlichen Gesprächspartnern in einen Gedankenaustausch zu kommen“. Als Oberbürgermeister sehe er seine Aufgabe insbesondere darin, „mit den Menschen zu reden“.

Welchen Auffassungen Dantz dabei besonders gern eine Bühne bietet, offenbart ein Blick auf vergangene Gäste. Darunter etwa Journalist Patrik Baab. Er sieht im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine einen „Stellvertreterkrieg“, der „von der Nato herbeiprovoziert“ wurde.

Im Stadttheater soll er von der Bühne gerufen haben, sich von „Denunzianten nicht einschüchtern“ zu lassen. Zu Gast war außerdem Gabriele Krone-Schmalz, die in der Vergangenheit dafür kritisiert wurde, russische Gräueltaten an den Ukrainern zu relativieren. Und nun Michael Meyen aus dem verschwörungsideologischen Milieu als Referent über die „Leitmedien“.

Die Mitglieder der Stadtwerkstatt Kamenz, einer zivilgesellschaftlichen Initiative, beobachten die Aktivitäten ihres Oberbürgermeisters mit Sorge. Mitglied Jens Fichte sagt: „Es ist keine Dialogreihe, ganz im Gegenteil. Es werden nur Leute aus einer politischen Richtung eingeladen.“ Peter Sondermann von der Stadtwerkstatt beobachtet, in der Veranstaltungsreihe herrsche „eine bedrohliche Stimmung“. Das führe dazu, „dass Leute, die eine andere Meinung haben, entweder nicht hingehen oder hingehen und nichts sagen“.

Die Verbindung von Verschwörungsmythen und russischer Propaganda sei indes nicht überraschend, sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas). Nach der russischen Annexion der Krim 2014 hätten sich deutschlandweit sogenannte Mahnwachen für den Frieden gebildet, die sich gegen die Nato und die USA wandten.

Diese hätten als Vernetzungspunkt gedient. „Insbesondere Antiamerikanismus, das zeigen wissenschaftliche Studien, hängt signifikant mit verschwörungsideologischen Weltbildern zusammen“, erläutert Lamberty. Russland hingegen werde in der Szene häufig verklärt als „Ort der Ursprünglichkeit“.

Wenn Verschwörungen zur legitimen Meinung werden

In seinem Vortrag im Stadttheater kritisiert Michael Meyen die vermeintliche „Kontaktschuld“, nach der man ihn verurteile, nachdem er auf Apolut, einer Plattform des Schwurblers Ken Jebsen, aufgetaucht war. Dabei ist das längst nicht alles. Meyen bewegt sich im Umfeld radikaler Verschwörungsideologen wie Ernst Wolff, der in der Vergangenheit mit der rechten Sekte Organische Christus Generation anbandelte und durch antisemitische Verschwörungserzählungen vermeintlicher Finanzeliten auffiel. Anfang Mai gab die bayerische Landesanwaltschaft bekannt, Meyens Beamtenbezüge zu kürzen. Sein Münchner Institut distanzierte sich schon vergangenes Jahr von seinen Positionen.

Und im Kamenzer Stadttheater? Bedankt Meyen sich ausgiebig bei Oberbürgermeister Dantz. Veranstaltungen wie diese brauche es als „Gegenmittel für den Zensurapparat“, betont Meyen. Sozialpsychologin Lamberty warnt:

„Gerade wenn eine Person mit gewisser Autorität Verschwörungserzählungen einen Raum bietet, wertet das solche Positionen als legitime Meinungsäußerung auf. Man kann und soll unterschiedliche Positionen haben, es braucht aber auch klare rote Linien.“

Diese unterschiedlichen Positionen gibt es in Kamenz durchaus. Franziska Schulze-Stocker von der Stadtwerkstatt betont: „Auf unseren Veranstaltungen gibt es kritische Stimmen. Wir bieten eine Bandbreite. Das Rathaus ermöglicht diese Breite nicht.“ Die Mitglieder der Werkstatt wollen weitermachen, auch wenn ihr Engagement anstrengend sei. „Viele finden es toll, dass sich die Zivilgesellschaft in Vereinen wie unserem organisiert“, sagt Angela Sondermann. „Aber unser Oberbürgermeister sieht uns eher als Gegner.“

Im Stadttheater sind Michael Meyens Ausführungen über die „Leitmedien“ als „Propagandaapparat“ inzwischen zu einem Ende gekommen. Es gibt Wortmeldungen aus dem Publikum. Ein älterer Herr lässt verlauten, ihn störe, dass „überall der Amerikaner mit drinhängt“.

Ein weiterer Besucher meldet sich zu Wort: „Goebbels‘ Gedankengut feiert heute wieder Triumphe“, spricht er bedeutungsschwanger ins Mikrofon und bezieht sich auf die Zensurmaschinerie des historischen Nationalsozialismus. Und: „Wie gut, dass wir einen so mutigen Oberbürgermeister haben.“ Schallender Applaus.